Sie meinen, das kommt nicht vor? Im Gegenteil. Gläubiger, die relativ geringe Forderungen schon seit langem gegen einen Schuldner verfolgen, von dem sie wissen, dass er kein Vermögen hat, machen sich häufig nicht die Mühe, eine Forderungsanmeldung zu schreiben und das Verfahren zu verfolgen.
Die Erteilung der Restschuldbefreiung für einen Schuldner ist normalerweise vom Ablauf der sechsjährigen Restschuldbefreiungsphase abhängig. Mit der Reform im Jahr 2004 hat der Gesetzgeber eine Rechtsprechung des BGH aus dem Jahr 2005 (BGH, Beschluss vom 17. März 2005 – IX ZB 214/04) übernommen und in § 300 InsO die Ausnahme eingeführt, dass eine Erteilung der Restschuldbefreiung möglich ist, wenn kein Gläubiger seine Forderung zur Tabelle angemeldet hat (§ 300 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 InsO).
Weitere Voraussetzung ist die „Berichtigung“ der Verfahrenskosten und sonstigen Masseverbindlichkeiten. Typischerweise sind in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Verbrauchers keine sonstigen Masseverbindlichkeiten zu bezahlen. Es kommt also regelmäßig nur auf die Verfahrenskosten an. Hier kommt nun das Amtsgericht Göttingen ins Spiel, was sich im Streit um die Frage, ob eine Verfahrenskostenstundung für die „Berichtigung“ ausreicht, erneut auf Seiten der Schuldner positioniert (AG Göttingen 71 IK 123/15 NOM).
In seinem Beschluss führt das Amtsgericht aus, dass eine erteilte Stundung eine Berichtigung im Sinne des § 300 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 InsO ist. Hierzu zieht das Gericht Vergleiche über die sonstigen Tatbestände einer frühzeitigen Beendigung in der InsO heran und liest insgesamt aus dem Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens, dass eine Restschuldbefreiungsphase ohne teilnehmende Gläubiger sinnlos ist und die Staatskasse, die die gestundete Vergütung des Treuhänders vorzuschießen hätte, nur unnötig belastet würde. Wenn das Ziel des Verfahrens nicht erreicht werden kann, nämlich die Verteilung des Vermögens an die Gläubigergemeinschaft, weil es keine Verteilung ohne Forderungsanmeldung gibt, dann ist die weitere Fortführung des Verfahrens sinnlos.
Das ist nicht unumstritten. Das Amtsgericht Norderstedt hat noch im September 2015 zum Aktenzeichen 65 IK 218/14 die Gegenmeinung vertreten. Eine einheitliche obergerichtliche Rechtsprechung zu dieser Frage gibt es noch nicht, so dass auch schwerlich eine Einschätzung der Ansicht der jeweiligen Insolvenzgerichte gegeben werden kann. Dem BGH liegt diese Frage aber derzeit wohl zur Entscheidung vor, so dass in naher Zukunft geklärt werden sollte, wie der Begriff „berichtigt“ zu verstehen ist.
Ich halte die Ansicht des Amtsgerichts Göttingen für gut vertretbar und sinnvoll, soweit die Stundung als ausreichend für eine Berichtigung angesehen wird. Dass der Staat erst nochmal für bis zu sechs Jahre Geld vorstrecken soll, um dann erst beim Stundungsschuldner die dann deutlich höheren Kosten beizutreiben läuft der Intention des schlanken Verfahrens zuwider.
Nicht nachvollziehbar ist für mich allerdings, wie das Amtsgericht Göttingen den klaren Wortlaut des § 300 Absatz 1 Satz 2 InsO ignorieren kann und annehmen kann, dass der Schuldner nicht einmal einen Antrag auf vorzeitige Erteilung stellen muss. In seinem Beschluss führt das Gericht hierzu nur aus, im Gegensatz zu den anderen Nummern des Satz 2 seien ja durch das Gericht keine aufwendigen Ermittlungen zu tätigen, um die Rechtmäßigkeit der vorzeitigen Restschuldbefreiung zu beurteilen. Der Schlussbericht des Insolvenzverwalters enthalte alle notwendigen Informationen. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Grenze der Auslegung der Wortlaut ist. Und im Gegensatz zu der berechtigten Frage, wie denn die Formulierung „berichtigt“ zu verstehen ist, ist die Antragsnotwendigkeit keiner Auslegung zugänglich, da sie übergreifend für alle drei Nummern des § 300 Absatz 1 Satz 2 InsO im Gesetz verankert ist. Es erscheint mir auch nicht zu viel verlangt, wenn der Schuldner bei diesem für ihn erheblichen Vorzug der Restschuldbefreiung selbst tätig wird.
Für die nicht unerhebliche Anzahl der Stundungsschuldner in deren Verfahren kein Gläubiger anmeldet bleibt es damit spannend, was die Entscheidung des BGH bringt. Es steht zu hoffen, dass dort der Sinn und nicht die Form des Insolvenzverfahrens berücksichtigt wird.