Diese absolut berechtigte Frage ist zugleich die entscheidende Frage. Und erschreckender Weise sind recht viele Unternehmen und auch Privatpersonen tatsächlich im Rechtssinne insolvent. Ohne das einer der Beteiligten das gemerkt hat oder, auch das leider immer wieder, ohne das man es wahrhaben will. Heute soll es also um die Insolvenz an sich gehen, den Insolvenzgrund.
Die Insolvenzordnung sieht ganz technisch drei Gründe für eine Insolvenz vor. Die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und die drohende Zahlungsunfähigkeit für Unternehmen und Privatleute/Einzelunternehmer (§ 18 InsO) und die Überschuldung nur für Unternehmen (§ 19 InsO).
Die Zahlungsunfähigkeit ist der wichtigste und häufigste Insolvenzgrund. Laut der gesetzlichen Definition ist zahlungsunfähig, wer seine fälligen Zahlungsverpflichtungen nicht erfüllen kann. Ein Beispiel für eine Zahlungsunfähigkeit liefert der Gesetzgeber gleich mit: Wer seine Zahlungen eingestellt hat, ist regelmäßig zahlungsunfähig.
Zahlungsunfähigkeit hängt also auf der einen Seite am verfügbaren Geld und andererseits an den bestehenden Verpflichtungen. Da diese Zahlengrößen immer im Fluss sind, ist eine Zeitpunktbetrachtung schwierig. Der BGH hat zu diesem Problem eine vielbeachtete Grundregel aufgestellt und definiert, dass von Zahlungsunfähigkeit auszugehen ist, wenn der Betreffende aus seinen liquiden Mitteln (Geld, kurzfristig einziehbare Forderungen, Kredite) am Tag der Prüfung nicht zumindest 90% seiner Schulden bezahlen kann. Um dem Zeitraumaspekt Rechnung zu tragen, ergänzt der BGH die starre Momentaufnahme um die Prüfung, ob der Schuldner nicht doch innerhalb von drei Wochen alles bezahlen kann.
Nehmen wir folgendes Beispiel für einen kleineren Unternehmer:
Geld:
Bank: 1.000 €
Forderungen (innerhalb von drei Wochen einziehbar): 10.000 €
Kontokorrentkredit: 5.000 €
Schulden:
Miete Geschäft: -2.000
Mietrückstand: -1.000
Löhne: -3.000
Sozialabgaben: -1.500
Steuern: -2.000
Lieferanten: -7.000
Maschinen/Kfz-Leasing: -1.000
Auf den ersten Blick sieht es gar nicht so dramatisch aus. Geld ist zwar nicht im Überfluss da, aber die Kunden zahlen und die Bank gibt sogar Kredit, wenn es mal eng wird. Unser Beispielunternehmer kann immerhin 16.000 € an Bargeld kurzfristig zusammenbekommen. Die Schuldenhöhe ist auch nicht extrem, nur die Miete war schwierig im letzten Monat. Insgesamt kommt unser Unternehmer auf sofort zahlungspflichtige -17.500 €.
Nehmen wir die Definition des BGH so ist der Unternehmer in unserem Beispiel aber insolvent. Am Tag der Momentbetrachtung decken 6.000 € sofort verfügbares Geld die fälligen -17.500 € zu gerade mal rund 34%. Und auch in drei Wochen kann der Unternehmer nur rund 91% bezahlen. Diese restlichen 1.500 € oder 9% sind es, die den Ausschlag geben. Am Tag der Prüfung und in drei Wochen kann der Unternehmer seine Schulden nicht bedienen.
Selbst wenn der Unternehmer in vier Wochen die fehlenden 1.500 € zusammenbekäme, so ist er im Rechtssinn zahlungsunfähig. Warum diese Pingeligkeit? Das Problem ist, dass man sonst ohne Ende auf die Zukunft deuten könnte und sagen könnte „das wird schon noch“. Irgendwo muss die Grenze gezogen werden und der BGH ist mit seiner Definition eigentlich schon ein Stück weg vom Gesetzestext, der gerade nicht von einem Zeitraum, sondern von einem Zeitpunkt ausgeht.
Im realen Wirtschaftsleben wird der Unternehmer natürlich versuchen, die Lücke zu decken. Er kann mit seinen Gläubigern reden. Er kann versuchen, den Kontokorrentkredit zu vergrößern oder einen neuen Kredit aufzunehmen. Und häufig wird der Unternehmer über Wochen und Monate hinweg weitermachen, gerade weil der Mensch denkt „das wird schon noch“.
Für den nichtselbständigen Privatschuldner ist die Sache meist einfacher zu beurteilen. Das monatliche Einkommen ist häufig konstant und das vorhandene Vermögen, dass rasch zu Geld gemacht werden kann, klein. Die Betrachtung bleibt aber dieselbe. Auch ein Verbraucher ist zahlungsunfähig, wenn seine Einkünfte die Schulden, laufende wie alte, nicht decken. Man kann als Verbraucher zwar seine monatlichen Pflichten im Griff haben, aber wer aus der Vergangenheit mindestens 10% nicht bezahlt hat und auch nicht bezahlen kann, ist zahlungsunfähig. Eine Bagatellregelung für Verbraucher kennt das Gesetz nicht.
Die 10%-Grenze ist keine so starre Grenze, wie sie gerade dargestellt wurde, jedoch sind die Ausnahmen von der Rechtsprechung so rar gesät, dass sie eine gute Faustregel ist.
Die Zahlungseinstellung als typischer Fall der Zahlungsunfähigkeit (eine sog. widerlegliche gesetzliche Vermutung) ist dann gegeben, wenn der Schuldner einen nicht unerheblichen Teil seiner Schulden auf Dauer nicht begleichen kann und dies den anderen Beteiligten (meint Gläubigern) erkennbar wird. Es reicht hierbei eine Gläubigerforderung, die nicht bezahlt wird und es reicht, wenn ein Gläubiger dies erkennt. Selbst Zahlungen an andere Gläubiger, auch größere Summen, beseitigen die Zahlungseinstellung nicht. Da es sich um eine Vermutung handelt, wird hierauf kaum ein Insolvenzgericht einen Eröffnungsgrund feststellen. Diese Vermutung wird später im Anfechtungsrecht wichtig. Eine Zahlungseinstellung ist erst behoben, wenn der Schuldner wieder an alle Gläubiger Zahlungen leistet.
Die drohende Zahlungsunfähigkeit ist ein Insolvenzgrund, der nur von Schuldnern, die selbst Insolvenzantrag stellen, genutzt werden kann. Drohende Zahlungsunfähigkeit ist eine Prognosebetrachtung, die eine zukünftig erst entstehende Zahlungsunfähigkeit als Grundlage hat. Es gilt im Wesentlichen oben Gesagtes zur Zahlungsunfähigkeit. Der Prognosezeitraum ist nicht festgelegt, aber die meisten gehen von zwei Jahren aus. Typischerweise ist ein Schuldner, der sagt, er werde erst zukünftig zahlungsunfähig, tatsächlich bereits zahlungsunfähig. Dementsprechend seltensind echte Fälle der drohenden Zahlungsunfähigkeit.
Die Überschuldung ist nur für Gesellschaften ein Insolvenzgrund und vergleicht die Werte des Aktivvermögens mit den Passivwerten. Herangezogen wird hierbei aber nicht die Handelsbilanz, die durch aus einen nicht vom Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag ausweisen kann, ohne das insolvenzrechtlich eine Überschuldung vorliegt. Allerdings ist ein handelsrechtlich negatives Eigenkapital ein starkes Indiz für eine insolvenzrechtliche Überschuldung.
Die Überschuldung ist seit dem Zusammenbruch des Bankensystems im Jahr 2008 deutlich entschärft worden, da der Gesetzgeber nun eine Überschuldung eines Unternehmens ausschließt, wenn eine positive Fortbestehensprognose gegeben ist. Regelmäßig ist davon auszugehen, dass ein Unternehmen fortbesteht, wenn es im laufenden wie im darauffolgenden Geschäftsjahr durchgehend zahlungsfähig ist.
Nur bei negativer Prognose wird überhaupt geprüft, ob die realen Vermögenswerte zu Marktpreisen die Verbindlichkeiten (nun aber mit insolvenztypischen Mehrverpflichtungen, wie Auslauflöhnen, Sozialabgaben und Strafzahlungen für vorzeitig beendete Verträge) nicht mehr decken. Typischerweise ist die zahlungsunfähige Gesellschaft auch überschuldet.
Zusammengefasst: Dieser kurze Abriss über Insolvenzgründe kratzt nur an der Oberfläche von einigen sehr komplexen Rechtsthemen. Sehr vereinfacht gilt: Wer seine Verbindlichkeiten nicht binnen drei Wochen voll bezahlen kann, ist pleite. Und das sind eine Menge unerkannte Fälle.
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