Das immer wiederkehrende Streitthema bei der Anfechtung ist die Frage, ab wann ein Gläubiger von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wusste. Der BGH hat sich in einem Urteil vom 16.06.2016 – IX ZR 23/15 nun erneut mit der Frage auseinandergesetzt, woraus der Gläubiger schließen muss, dass der Schuldner zahlungsunfähig ist.
Die Entscheidung beschäftigt sich mit einer Insolvenz aus dem Jahr 2011. Ein Bauunternehmen hatte für seine Baustellen seit Jahren Maschinen bei einem Vermieter geordert. Seit Anfang des Jahres 2011 verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage der späteren Schuldnerin immer weiter, so dass im Sommer 2011 rund 200.000 € bei der Lieferantin offen waren. Die Lieferantin verhängte einen Lieferstop, drohte mit der Kündigung aller Mietverträge und kündigte einige ausgesuchte Verträge sofort. Zwei Wochen später berichtete die Schuldnerin, dass sie für 2012 die Kreditfinanzierung gesichert habe und bei Geldeingang demnächst 50.000 € anzahlen und dann monatlich 40.000 € abzahlen könnte. Noch einmal zwei Wochen später, die Verbindlichkeiten bei der Vermieterin lagen inzwischen bei rund 800.000 €, brauchte die Schuldnerin eine Spezialgerät. Die Vermieterin machte die Lieferung abhängig von einer Zahlung von 200.000 € auf Rechnungen aus April und Mai 2011 und zusätzlich von einer Bankbürgschaft über die restlichen 605.000 €. Am 22.08.2011 zahlte die Schuldnerin rund 202.000 € und stellte am 30.08.2011 die Bankbürgschaft. Bereits am 06.09.2011 wurde der Insolvenzantrag gestellt und am 01.11.2011 das Insolvenzverfahren eröffnet.
Der Insolvenzverwalter verlangt im Wege einer Anfechtung aus § 130 InsO und § 133 InsO die gezahlten rund 202.000 € und Nebenkosten. Das Landgericht Ingolstadt verurteilte den Vermieter auf Grund der Vorsatzanfechtung und der Deckungsanfechtung zur Zahlung, das OLG München wies die Klage ab. Nach Ansicht des OLG München fehlte es an einer Kenntnis des Gläubigers von der Zahlungsunfähigkeit. Der BGH hat nun in seiner Entscheidung die landgerichtliche Entscheidung wiederhergestellt.
Im Gegensatz zum OLG München sieht der BGH sehr wohl eine Kenntnis des Gläubigers von Umständen, die zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. § 130 InsO sei erfüllt.
Zunächst geht der BGH auf die unstreitigen Voraussetzungen ein und stellt fest, dass die Zahlung im August 2011 eine die Gläubiger benachteiligende Rechtshandlung war. Diese Handlung wurde auch im Zeitraum des § 130 InsO, also binnen drei Monaten vor dem Antrag vorgenommen. Ebenso unstreitig sei die Zahlungsunfähigkeit an sich. Die Zahlungsunfähigkeit sieht der BGH in der Zahlungseinstellung begründet, die wiederum dadurch belegt ist, dass der Schuldner von Juli 2011 bis zur Insolvenzeröffnung im November Verbindlichkeiten von knapp 6 Mill. € nicht bedient habe. Der Streit bezieht sich allein noch auf die Frage der Kenntnis des Gläubigers von der Zahlungsunfähigkeit und hier führt der BGH nun im Detail aus, dass die Kenntnis vorlag.
Der BGH gibt seine Definition von der Kenntnis des Gläubigers, die er in ständiger Rechtsprechung wiederholt, und erklärt ergänzend, dass es für den Gläubiger nicht darauf ankommt, ob er die ihm bekannten Tatsachen, hier die Zahlungseinstellung, rechtlich richtig bewertet. Es kommt nur auf die objektive Bewertung an. Wer aus einem Tatsachenbild den falschen Schluß zieht, trägt die Folgen.
Im verhandelten Fall sieht der BGH die Fehlbeurteilung der Lage durch den Richter der Vorinstanz in der Missachtung von klaren Indizien für eine Kenntnis. Es sei fehlerhaft für eine Unkenntnis argumentiert worden, dass ein deutlicher Anstieg der Verbindlichkeiten bei der Vermieterin ja auch schon im Jahr zuvor vorgekommen sei. Das OLG habe zudem ignoriert, dass das Ratenangebot der Schuldnerin ein ausdrückliches Eingeständnis der Zahlungsunfähigkeit gewesen sei.
Der massive Anstieg der Verbindlichkeiten auf 200.000 € und dann bis August 2011 auf 800.000 € sei ein gewichtiges Indiz für eine Zahlungseinstellung. Die Parteien hätten nichts vorgetragen, aus dem sich ergeben würde, dass dieser Anstieg in den fünfstelligen Bereich üblich war. Es sei von vorherigen Einzelausfällen bis zu 35.000 € die Rede gewesen. Allein wegen des enormen Anstiegs der Verbindlichkeiten sei von einer Kenntnis auszugehen. Darüber hinaus sei der „übliche“ Zahlungsverzug von durchschnittlich 56 Tagen auf vier Monate angewachsen.
Als dann die Schuldnerin auf die Drohung der Vermieterin im Juli 2011 nicht mit einer sofortigen Wiederaufnahme der Zahlungen reagierte, sondern Ratenanbot, sei der Gläubigerin die verschlechterte finanzielle Situation noch deutlicher geworden. Das Schreiben an sich sei schon ein weiteres gewichtiges Anzeichen für die Kenntnis der Vermieterin. Die Schuldnerin habe nämlich mitgeteilt, selbst bei erfolgreichem Abschluss der Finanzierungsrunde für 2012 wäre keine sofortige Zahlung möglich. die Ratenzahlung hätte einen Zahlungen über fast zwei Jahre nach sich gezogen. Dementsprechend sei der Gläubigerin mitgeteilt worden, dass die Schuldnerin nicht in der Lage ist, ihre Verbindlichkeiten binnen drei Wochen zu erfüllen.
Das sei insoweit auch aus dem Verhalten der Gläubigerin ersichtlich, weil sie die Ratenzahlungsvereinbarung eben nicht annahm, sondern die Zwangslage der Schuldnerin nutzte, um 200.000 € sofort zu erlangen und darüber hinaus eine weitere Sicherung. Die verlangte 200.000 € lägen deutlich oberhalb der angebotenen 50.000 € und hätten von vorneherein den Plan der Schuldnerin zunichte gemacht.
Dadurch das die Schuldnerin sogar etwas mehr als die verlangten 200.000 € zahlte, war die Kenntnis nach dem BGH auch nicht nachträglich weggefallen. Nach der Entscheidung des BGH kann ein Gläubiger trotz Zahlung und umfangreicher Sicherung nicht davon ausgehen, dass nicht nur er, sondern alle Gläubiger in gleichem Umfang wieder Geld erhalten. Vielmehr müsste ein Gläubiger davon ausgehen, dass die übrigen Gläubiger eines gewerblich tätigen Schuldners einfach nur Stillhalten. Die allgemeine Lebenserfahrung gebiete dem Gläubiger, dass er von einer fortdauernden Zahlungsunfähigkeit ausgehen muss, bis er konkrete anderslautende hinweise hat. Die hier genannte genügten nicht.
Zusammengefasst: Der BGH befasst sich erneut mit der Wirkung einer Ratenzahlung bzw. eines Angebots auf die Frage der Kenntnis des Gläubigers von Umständen, die die Zahlungsunfähigkeit zwingend nahelegen. Er kommt zu dem Schluss, dass schon das Angebot einer Ratenzahlung selbst das Eingeständnis der Zahlungsunfähigkeit enthalten kann und dass Zahlungen, erst recht unter Druck wie hier, nicht bedeuten, dass alle Gläubiger Geld erhalten.